Missmanagement, fehlendes Personal, schlechter Service: Die Meldungen über die katastrophalen Zustände in der Ausländerbehörde reißen nicht ab. „Die Sorgen und Nöte der Darmstädter Migrantinnen und Migranten wachsen in dieser Stadt. Der zuständige Dezernent Rafael Reißer sitzt das Problem seit Jahren aus. Auch der Personaldezernent Jochen Partsch könnte langsam mal aktiv werden und die Missstände angehen“, kritisiert SPD-Parteichef Tim Huß. Gemeinsam mit der SPD-Fraktionsvorsitzenden Anne Marquardt fordert er, die längst überfälligen Reformen endlich anzustoßen.
Das neue Kapitel: Seit vergangenem November bemühte sich die Darmstädter Pianistin Çağla Gürsoy um einen Termin, um ihren Aufenthaltstitel zu verlängern, der im Januar dieses Jahres auslief. Für ihr Konzertexamen im Mai benötigte sie dringend ein Visum. Immer wieder rief sie bei der Behörde an – während der Sprechzeiten. Immer wieder bekam sie die automatische Bandansage zu hören, dass gerade keine Sprechzeit stattfinde. Es folgte der Hinweis auf Zeiträume zur telefonischen Terminvereinbarung. Doch exakt zu diesen Zeiten rief sie an. Ebenso erfolglos blieben auch die Versuche ihres Rechtsanwaltes, einen Termin zu vereinbaren. Kurz nachdem Gürsoy ihre Erfahrungen mit der Ausländerbehörde Ende April auf Facebook gepostet hatte, konnte ihr Anliegen doch noch telefonisch geregelt werden.
„Das ist leider kein Einzelfall“, sagt Anne Marquardt und erinnert etwa an den Fall eines jungen Iraners, der wegen der Personalengpässe und damit verbundenen langen Wartezeiten seinen Job verloren hatte. Auch die Allgemeinen Studierendenausschüsse der Hochschule Darmstadt und der Technischen Universität hatten schon „unzumutbare Zustände“ in der Ausländerbehörde angeprangert. Ausländischen Studierenden bereite das enorme Probleme, die ihre Existenz und ihr Studium bedrohten.
Schon in der Vergangenheit hat die SPD erhebliche Managementprobleme und eine schlechte Organisation bei der Aufgabendefinition und der Personalpolitik identifiziert. „Die Verwaltung erhält immer neue Aufgaben, der Personalbedarf wird aber nicht ermittelt“, sagt Huß. „Dass Verwaltungsarbeit von Menschen gemacht wird, scheint manch ein Dezernent gerne zu verdrängen. Die Strukturen sind veraltet, unzählige Prozesse nicht digitalisiert. Wir wissen auch, dass nach über einem Jahr Corona zahlreiche Home Office-Plätze nicht eingerichtet sind. Für die Digitalstadt GmbH wurden Mitarbeitende abgeordnet, die in der Kernverwaltung jetzt fehlen. All das führt irgendwann zu einem schlechten Bürgerservice, der bei der Ausländerbehörde voll durchschlägt. Sowohl die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter als auch die hilfesuchenden Menschen können einem nur leidtun.“
Die von Rafael Reißer angekündigten Maßnahmen reichen Marquardt zu folge „hinten und vorne nicht aus. Solange die Schere zwischen Aufgabenmenge und Personalausstattung nicht angegangen wird, bringen auch neue Räumlichkeiten im Luisencenter nichts. Personaldezernent Partsch muss endlich die notwendigen Stellen schaffen und die Personalausstattung im Verwaltungsmanagement angemessen berücksichtigen.“ Ende letzten Jahres hatte die SPD-Fraktion im Rahmen der Haushaltsberatungen gefordert, die Zahl der Azubis in der Verwaltung zu verfünffachen. Doch der Antrag wurde abgelehnt.
Die SPD fordert nun eine konsequente Umstellung der Stadtverwaltung auf digitale Prozesse und eine grundlegende Neustrukturierung der Abläufe in der Ausländerbehörde. Weiter müssen die Personalbedarfe für die zahlreichen Aufgaben festgestellt werden. Das schafft die Möglichkeit, überhaupt eine Verwaltung zu steuern. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Behörde brauchen zudem Unterstützung und das Arbeitsklima muss deutlich verbessert werden. Nur so kann die massive Personalfluktuation eingedämmt werden.
Wie dringend diese Verwaltungsreform gebraucht wird, zeigen Reißers Antworten auf die Kleine Anfrage. So räumte er seinerzeit unumwunden ein „Die hohe personelle Fluktuation in der Ausländerbehörde besteht seit vielen Jahren und ist hinlänglich bekannt.“ „Warum hat Herr Reißer dann all die Jahre nichts dagegen unternommen?“, fragt sich Marquardt. Eine Frage, die sich ebenfalls aufdrängt: Warum laufen der Ausländerbehörde die Mitarbeiter*innen weg? Hierzu Reißer: „Es ist durchaus bekannt, dass sich viele Beschäftigte in benachbarte Landkreise bewerben. Hauptbeweggründe hierfür sind vor allem die höhere Vergütung bei gleich gelagerter Tätigkeit sowie die herrschende Digitalisierung der Arbeitsprozesse (eAkte). Zusätzlich erscheint eine größere Flexibilität in der Ausgestaltung der Arbeitszeit durch das Angebot, die Arbeitsleistung auch mehrtägig von zu Hause (Homeoffice) erbringen zu können, als besonders überzeugend.“
Für Marquardt zeigt sich, dass der Stellenwert von guter Arbeit im grün-schwarzen Magistrat systematisch unterschätzt wird. „Wer schlechte Arbeitsbedingungen anbietet, ist für unzureichenden Bürgerservice verantwortlich“, so Marquardt. „Die Arbeitsbedingungen im Landkreis müssen zum Vorbild für die Stadt Darmstadt werden. Sonst weitet sich das Managementproblem schnell auf andere Bereiche der Stadtpolitik und der Servicestruktur aus.“