Beteiligung vor Ort neu denken – aktive Bürgergesellschaft in demokratischen Strukturen

Christina Fischer

SPD-Fraktion erneuert Forderung nach Ortsbeiräten in den peripheren Stadtteilen

Mehr Demokratie wagen: Ebenso wie in Wixhausen soll es auch in Arheilgen, Eberstadt, Kranichstein und der Heimstättensiedlung einen Ortsbeirat geben, so fordert es die SPD-Fraktion nun erneut. „Wir freuen uns, dass UWIGA/WGD unsere frühere Initiative nun mit einem Antrag aufgegriffen hat und werden daher zustimmen“, kündigt SPD-Fraktionsvize Tim Sackreuther bereits für die Stadtverordnetenversammlung am kommenden Donnerstag an. Ablehnen wird seine Fraktion dagegen den Antrag von Helmut Klett, der ebenfalls Ortsbeiräte fordert. Der Unterschied: Er möchte die Ortsbeirats-Regelungen der Stadt Frankfurt übernehmen. „Wir wollen keine Kopie, sondern ein Darmstädter Modell, das zu unserer Stadt passt. Wir sollten und können hier eigene Wege gehen“, begründet Sackreuther die Haltung der SPD-Fraktion.

„In Darmstadt wird das Prinzip der Bürgerbeteiligung hochgehalten, aber trotzdem klafft eine Lücke. Häufig werden die Formate von der Bevölkerung als Alibi wahrgenommen“, meint SPD-Fraktionschef Michael Siebel. Er verlangt daher eine neue Form der Partizipation, nämlich die Einrichtung weiterer Ortsbeiräte, ergänzt um Bürgerräte in den Innenstadtbereichen.

Im Gegensatz zu Darmstadt spielen Ortsbeiträte in anderen hessischen Städten wie Frankfurt, Wiesbaden oder Kassel eine große Rolle. Sie werden dort bei großen Infrastrukturprojekten, der Ausweisung von neuen Bauflächen oder der Reorganisation sozialer Akteure beteiligt. Die SPD-Fraktion möchte dies auch in Darmstadt einführen. Hierzu Siebel: „Im Lichte des Wandels unserer Stadt ist es wichtig, kluge Weichenstellungen zu treffen, damit sich Darmstadt sozial gerecht und ökologisch nachhaltig entwickeln kann. Genauso wichtig ist es, die Bürgerinnen und Bürger bei der Gestaltung des Wandels zu beteiligen. Das erhöht nicht nur die Legitimität und Akzeptanz politischer Entscheidungen, sondern verbessert auch die Qualität der Ergebnisse.“

Für eine solche Beteiligung sind Ortsbeiräte aus Sicht der SPD das richtige Instrument. Ortsbeiräte sind über Wahlen demokratisch legitimiert, wie Siebel betont. „Sie schaffen Transparenz und Teilhabe, indem sie sich mit dem befassen und das aufgreifen, was die Bürgerinnen und Bürger vor ihrer Haustür direkt interessiert und stört.“ Damit tragen sie zu einer höheren Identifikation mit dem Stadtteil und dem engeren Lebensraum bei, denn sie ermöglichen eine direkte Teilhabe und Mitwirkung und fordern diese auch ein. Sie tragen zur Meinungsbildung bei, weil sie sich mit örtlich relevanten Bauvorhaben und Planungsleitlinien auseinandersetzen können. Und schließlich werden durch sie Diskussionen demokratisiert und versachlicht.

Aus Siebels Sicht ist die Einrichtung weiterer Ortsbeiräte auch mit Blick auf die Menschen wichtig. Denn nach seiner Beobachtung hat sich die Haltung und Einstellung der Bevölkerung zur repräsentativen Demokratie verändert. „Gerade auf kommunaler Ebene sind Fragestellungen und Themen komplexer geworden. Prozesse dauern lange. Die Ungeduld der Bürgerinnen und Bürger wird größer. Viele wollen ihre Geschicke selbst in die Hand nehmen.“ Bürgerversammlungen, Befragungen, Stadtteilforen und Beteiligungsverfahren seien hierfür nicht ausreichend. Deshalb sollen zunächst in Arheilgen, Eberstadt, Kranichstein und der Heimstättensiedlung Ortsbeiräte geschaffen werden. Zudem soll der Magistrat prüfen, wo darüber hinaus die Einrichtung von Ortsbeiräten sinnvoll ist.

Ergänzend zu den Ortsbeiräten in den peripheren Stadtteilen sollen in den Innenstadtbereichen Bürgerräte gebildet werden. Hierbei handelt es sich – im Gegensatz zu den Ortsbeiräten – nicht um gewählte Gremien, sondern um Versammlungen per Los zufällig ausgewählter Bürgerinnen und Bürger. Sie diskutieren  bei mehreren Terminen ein vorgegebenes Thema und übergeben der Politik ihre Handlungsempfehlungen als Bürgergutachten.

Siebel verweist auf einen Bericht des Deutschen Bundestages, nach dem sie folgenden Mehrwert haben: Sie machen ein Stimmungsbild der Bevölkerung sichtbar, das weitaus genauer ist als Meinungsumfragen. Sie binden Alltagserfahrungen der Menschen ein und produzieren praxisnahe Empfehlungen. Sie lassen Kompromisslinien und mehrheitsfähige Vorschläge erkennen. Sie führen unterschiedliche Positionen zusammen, statt zu polarisieren und können so helfen, gesellschaftliche Konflikte zu befrieden.

Wie Siebel erläutert, dienen Bürgerräte der Beratung des Magistrats und der Stadtverordnetenversammlung und stellen Informationen bereit, die auf anderem Wege bisher nicht ausreichend gewonnen werden können. Sie treffen aber keine Entscheidungen. Die Entscheidungskompetenz verbleibt bei der gewählten Gemeindevertretung, die dafür die Verantwortung trägt und Rechenschaft ablegt. Siebel: „Bürgerräte ergänzen und stärken auf diese Weise die repräsentative parlamentarische Demokratie. So sollten wir mit Ortsbeiräten und Bürgerräten den Schritt gehen, mehr Demokratie zu wagen.“