Mehr Bürgerbeteiligung und Bürgerservice soll es nach dem Willen der
SPD-Fraktion geben. Sie beantragt deshalb, in allen Stadtteilen
Ortsbeiräte zu etablieren sowie die Bürgerbüros und Meldestellen, die
bis 2012 existierten, wieder einzurichten. Dies teilten die
Sozialdemokraten heute im Rahmen einer Pressekonferenz mit.
18.06.2020 \|
Darmstadt befindet sich im Wandel. Ob große Infrastrukturprojekte, die
Ausweisung von neuen Bauflächen oder die Reorganisation sozialer
Dienstleistungen – die Veränderungen werden unsere Stadt für die
nächsten Jahrzehnte prägen. Umso wichtiger ist es, heute kluge
Weichenstellungen zu treffen, damit sich Darmstadt sozial gerecht und
ökologisch nachhaltig entwickeln kann. „Genauso wichtig ist es, die
Bürgerinnen und Bürger bei der Gestaltung dieses Wandels zu beteiligen.
Das erhöht nicht nur die Legitimität politischer Entscheidungen, sondern
verbessert auch die Qualität der Ergebnisse“, meint SPD-Fraktionschef
Michael Siebel. „Doch gerade bei der Bürgerbeteiligung scheitert die
grün-schwarze Stadtregierung regelmäßig“, ergänzt Tim Sackreuther,
SPD-Stadtverordneter aus Arheilgen. Er erinnert an Demonstrationen vorm
Stadtparlament, Unterschriftenlisten an Infoständen für Bürgerbegehren
und offene Beschwerdebriefe an den Oberbürgermeister, die mittlerweile
zum politischen Alltag in Darmstadt gehörten. „Oft werden die Menschen
zu spät oder gar nicht beteiligt“, stellt Sackreuther fest. Dies hat er
auch in seinem Stadtteil erfahren, als es um die Errichtung eines
zweiten Aldi-Marktes im Ortskern ging. Sackreuther hierzu: „Zwar
existieren Leitlinien für Bürgerbeteiligung – an diese hält sich die
Stadtregierung aber selbst oft nicht, wie das Beispiel Aldi Markt in
Arheilgen gezeigt hat. Dort begehrten die Bürger\*innen und die SPD eine
Bürgerbeteiligung nach den Statuten, die der Magistrat ablehnte.“
Doch der Discounter ist nicht der einzige Fall, in dem die
Stadtregierung die viel gepriesene Bürgerbeteiligung zur Farce machte.
Aufschreie aus der Bürgerschaft gab es schnell bei der Bebauung des
Bürgerparks, bei Überlegungen zur Abholzung des Eberstädter Waldes, bei
den Planungen für zwei große Gewerbegebiete im Darmstädter Norden, beim
Bau einer Straßenbahn nach Weiterstadt, bei der Verlegung des
Betriebshofs von Heag Mobilo, bei Verdichtungsmaßnahmen in der
Heinestraße und der Lauteschlägerstraße oder beim Errichten eines
Funkmastes in der Villenkolonie, wie Siebel ausführt. „Gerade bei
kontroversen Projekten wird Bürgerbeteiligung konsequent missachtet. Es
fehlt eine verbindliche, nachhaltige Struktur für die Bürgerbeteiligung
vor Ort.“
Daher fordert die SPD einen neuen großen Wurf für die Bürgerbeteiligung
in Darmstadt.
Bereits vor zwei Jahren hat die SPD auf ihrem Parteitag die Einführung
von Ortsbeiräten in Arheilgen, der Heimstättensiedlung, der Waldkolonie
und Weststadt, Bessungen und Eberstadt gefordert. „Darüber hinaus wollen
wir in allen neun Stadtteilen Ortsbeiräte etablieren“, sagt Siebel.
Die Vorteile hiervon: Ortsbeiräte sind über Wahlen demokratisch
legitimiert. Ortsbeiräte schaffen Transparenz und Teilhabe, indem sie
sich mit dem befassen und das aufgreifen, was die Bürgerinnen und Bürger
vor ihrer Haustür direkt interessiert und stört. „Sie tragen zu einer
höheren Identifikation mit dem Stadtteil und dem engeren Lebensraum bei,
weil sie eine direkte Teilhabe und Mitwirkung ermöglichen und
einfordern“, meint Siebel. Zudem trügen sie zur Meinungsbildung bei,
weil sie sich mit örtlich relevanten Bauvorhaben und Planungsleitlinien
auseinandersetzen könnten. Und schließlich würden durch sie Diskussionen
demokratisiert und versachlicht.
Siebel: „Die Einrichtung von Ortsbeiräten in allen neun Stadtteilen
stellt damit eine echte Alternative zur sektoralen Bürgerbeteiligung der
Stadtregierung dar. Die Stadtregierung beteiligt Menschen in
Stadtteilforen und Informationsveranstaltungen, wenn sie politisch wenig
zu befürchten hat.“ Dem setzt die SPD flächendeckende, demokratisch
legitimierte und dauerhaft institutionalisierte Bürgerbeteiligung in
Form von Ortsbeiräten entgegen. „So können wir die Herausforderungen
einer wachsenden Stadt gemeinsam mit den Bürgerinnen und Bürgern vor Ort
meistern“, sind sich die Sozialdemokraten sicher.
Parallel zu dem Mehr an Bürgerbeteiligung soll es auch ein Mehr an
Bürgerservice geben. Denn aus Sicht der SPD-Fraktion war die
Reduzierung von Bürgerverwaltungs- und Bürgerservice-Strukturen in den
Stadtteilen Kranichstein, Arheilgen und Heimstätte ein Fehler. „Das hat
den Bürgerservice der Stadt Darmstadt nachhaltig geschwächt. Das hat uns
die Corona-Pandemie aufs Neue verdeutlicht“, sagt der
SPD-Stadtverordnete Santi Umberti aus Kranichstein. Dezentrale Angebote
und Zweigstellen des Bürgerservices in den Stadtteilen führten nicht nur
zu einer besseren Erreichbarkeit der Angebote, sondern sorgten auch in
der zentralen Anlaufstelle in der Innenstadt für geringeren
Personenverkehr und so auch für einen besseren Bürgerservice.
„Es ist den älteren und behinderten Menschen sowie Familien mit Kindern
nicht zuzumuten, bis in die Innenstadt zum Bürgerbüro oder zur
Meldestelle zu fahren, zumal sich in Darmstadt-Kranichstein eine
bürgerfreundliche Atmosphäre entwickelt hat. Ferner kommt noch hinzu,
dass dieser internationale Stadtteil mit ca. 12.000 Einwohnern ein Recht
hat, ein eigenes Bürgerbüro und eine eigene Meldestelle zu haben, um den
Menschen entgegenzukommen“, betont Umberti. Aus zahlreichen Gesprächen
mit Bürgerinnen und Bürgern sowie mit kleine und mittelständige
Unternehmen weiß der SPD-Vorsitzende aus Kranichstein, dass es für viele
eine zeitliche und finanzielle Belastung ist, extra in die Innenstadt
fahren zu müssen, um meldetechnische Erledigungen durchzuführen.
Servicestellen vor Ort könnten, insbesondere für Bürger\*innen mit
geringem Einkommen, zusätzliche Kosten für eine ÖPNV-Karte reduzieren.
Auch die Stadtteile Darmstadt-Arheilgen (18.000 Einwohner) und
Heimstätte (7.370 Einwohner) mit ihren expansiven Entwicklungen und
differenzierten Gesellschaftsstrukturen haben Umberti zufolge ein Recht
auf Bürgerbüros und Meldestellen und damit auf ein vollumfängliches
Dienstleistungsangebot für die Bürgerschaft vor Ort.
Für Umberti sind die Gründe zur Schließung der Bürgerbüros und der
Meldestellen durch die Grün-Schwarze Stadtregierung im Jahre 2012 aus
sozial- und standortpolitischen Gesichtspunkten nicht nachvollziehbar,
selbst wenn die Lage des Haushaltes der Wissenschaftsstadt Darmstadt
nicht viel Handlungsspielraum zulassen sollte. „Eine
Haushaltskonsolidierung ist erforderlich, aber es muss an der richtigen
Stelle gespart werden, um auch einen sozialen Zusammenhalt zu
gewährleisten und nicht zu gefährden“, betont Umberti.
Es fordert eine ausgleichende Strategie, um eine befriedigende Lösung
für die Bürgerschaft und den Stadtteil Darmstadt-Kranichstein
beizusteuern, um auch die Attraktivität des Wohn- und
Wirtschaftsstandortes nicht zu verschlechtern, sondern zu verbessern.
Dieses gilt ebenso für die anderen Stadtteile, Darmstadt-Arheilgen
sowie Heimstätte. „Bürgerfreundlichkeit ist hier gefragt“, stellt
Umberti fest.