20.07.2016 \|
„Das war kein guter Start der Koalition in die neue Wahlperiode“, sagte
heute der Fraktionssprecher der SPD-Fraktion im Stadtparlament bei
seiner 100-Tage-Bilanzpressekonferenz in Darmstadt.
Die Arbeit der Koalition sei von Pleiten, Pech und Pannen begleitet. Der
Wille, eine sozial gerechte Stadtgesellschaft und die notwendigen
Großprojekte mit Mut und Entscheidungskraft anzugehen, sei häufig nicht
sichtbar. Die SPD sieht ihre Aufgabe deshalb darin, immer wieder auf
Projekte hinzuweisen, die verschleppt werden, aber auch mit eigenen
Vorschlägen politische Alternativen aufzuzeigen. Als Beispiel nannte
Siebel den Neubau eines Fußballstadions. Während die Grünen im Wahlkampf
noch mit dem Stadionneubau auf Plakaten geworben hatten, war Partsch
nach eigenen Angaben schon längst auf der Suche nach einem
Alternativstandort. Heute ist völlig unklar, ob die Stadt sich überhaupt
noch an einem Neubau beteiligen wird.
„So kann man mit den Bürgerinnen und Bürgern der Stadt nicht umgehen.
Für uns ist klar: Eine Ertüchtigung des Böllenfalltors kann nur eine
Übergangslösung sein und ersetzt einen Neubau nicht. Investitionen
sollen nur soweit getätigt werden, wie sie für die Lizenzierung
notwendig sind. Das gesparte Geld soll stattdessen lieber in den Neubau
gesteckt werden“, so Siebel.
Siebel untermauerte seine Einschätzung zur mangelnden Entscheidungskraft
der Regierung außerdem am Beispiel des fehlenden
Berufsschulentwicklungsplans. Seit Jahren trete man hier auf der Stelle,
ohne dass irgendein Fortschritt erkennbar sei. Dabei müsse die
Berufsschullandschaft in Darmstadt und Umgebung dringend
weiterentwickelt werden – organisatorisch, baulich und konzeptionell.
Anstatt aber die Schulgemeinden in einen positiven Entwicklungsprozess
mitzunehmen, tage man jahrelang hinter verschlossenen Türen und bringe
dann nicht die Kraft auf, die Ergebnisse auch umzusetzen.
Ebenso hochproblematisch ist laut Siebel der Stillstand bei der
Verkehrsentwicklung. Gerade die Verkehrsentwicklung sei für Darmstadt
essentiell. Mit der Abplanung der Nord-Ost-Umgehung sei eine
konzeptionelle Lücke gerissen worden, die nicht absehbar gefüllt werde.
Nach Auffassung Siebels müsse ein Verkehrskonzept Mobilität in der
Stadt, in die Stadt hinein und aus der Stadt heraus als
Mobilitätsdienstleitung verstanden werden. „Straßen, Radwege, Bahnen und
Busse sind Mittel zum Zweck, nicht der Inhalt von Verkehrsentwicklung
der Zukunft“, erläuterte Siebel.
Auch bei dem Megathema Wohnen stünden Strategien und Entscheidungen an.
Die Festlegung der Koalition, in den kommenden Jahren 10.000 Wohnungen
zu bauen, sei richtig und es sei auch richtig, davon 45 % als
Sozialwohnungen und Wohnungen für mittlere Einkommen zu erstellen. Die
Koalition lasse nur offen, wo und wie diese Wohnungen gebaut werden
sollen. Aus Sicht der SPD sind zwei Felder zu beackern: erstens müsse
systematisch untersucht werden, wo aufgrund bestehenden Baurechts
aufgestockt und verdichtet werden kann und zweitens müsse sich die
Fraktion entscheiden, ob sie den sozialen Wohnungsbau in den Vordergrund
stellen oder hochpreisige Wohnungen –wie es eher die Linie der CDU ist
– bauen will. „Und das hat auch wieder mit der Verkehrspolitik zu tun.
Einen Stadtteil verkehrsreduziert zu bauen, heißt nicht unbedingt, ihn
hochpreisig zu bauen. Ganz im Gegenteil. Diese Frage wird zur Nagelprobe
bei der zukünftigen Entwicklung der Cambrai-Frisch-Kaserne“, so der
Fraktionssprecher. Der SPD ist dabei klar, dass gerade das Thema
Nachverdichtung auch zu Widerständen in der Bevölkerung führt. Obwohl
die SPD in der Opposition ist, wird sie sich nicht scheuen, auch
unpopuläre Entscheidungen mitzutragen, denn: „Es ist unsere Überzeugung,
dass an einer Nachverdichtung kein Weg vorbeigeht, wollen wir Wohnen in
der Stadt nicht zu einem exklusiven Luxus für die Reichen machen.“
Mit wenig Fortune war nach Auffassung des SPD-Sprechers der
Oberbürgermeister mit seinem Personal im Magistrat gesegnet. Der
Fehlgriff des Ordnungsdezernenten Reißer im Zuge des Fußball-Derbys, der
Darmstadt bundesweit in ein schlechtes Licht stellte, sei bereits
hinreichend kritisiert worden. Die enormen Kostensteigerungen beim
Nordbad zeugten aber von weiteren erheblichen Missständen in den Reihen
des Magistrats: „Wenn Herr Reißer ein Schwimmbad für 13 Millionen bauen
will und vier Jahre später, ohne einen Stein auf den anderen gesetzt zu
haben, bereits bei geschätzten Kosten von 35 Millionen liegt, dann muss
man sich schon fragen, wie seriös da eigentlich gearbeitet wird“, so
Siebel. Aber auch hier will die SPD die Vereine und die Bürgerinnen und
Bürger nicht im Regen stehen lassen: „Wir tragen den Neubau des Nordbads
weiterhin mit, verlangen aber eine Aufklärung über die explodierenden
Kosten“, stellt Siebel klar. Als sehr problematisch beurteilt Siebel
außerdem den Weggang der Baudezernentin Cornelia Zuschke, die sich mit
einem neuen, offenen Stil viel Sympathie in Darmstadt erarbeitet hatte
und auch manche Fehlentscheidung ihrer Vorgängerin Brigitte Lindscheid,
die ins Regierungspräsidium gewechselt war, korrigiert hatte. „Wir
bedauern, dass Frau Zuschke Darmstadt verlässt, weil viele Großprojekte
gerade jetzt angegangen werden müssten: „Nordbad, Umbau Stadion,
Umsetzung Landesgartenschau, Sanierung und Neubau Berufsschulzentrum –
um nur einige Baustellen zu benennen. Wenn diese Punkte jetzt wieder für
ein halbes Jahr auf Eis liegen, dann tut das Darmstadt nicht gut.“
Kritisch setzte sich Siebel in der Bilanzpressekonferenz auch mit der
Bürgerbeteiligung auseinander. Sie habe vielfach nur Alibifunktion und
erreiche nicht die Menschen in der Stadt, die von sozialer Deklassierung
und Armut betroffen sind. „Es ist eine Bürgerbeteiligung für Bürger, die
viel Zeit und Interesse haben, um sich in umständliche
Internetdarstellungen einzuarbeiten oder an abstrakten Planungsprozessen
teilzunehmen.“ Die kleinen Probleme der Anwohnerinnen und Anwohner vor
Ort würden dagegen viel zu selten aufgenommen. Die Einführung von
weiteren Ortsbeiräten, wie sie beispielsweise in Frankfurt seit vielen
Jahren hervorragend funktionierten, sollte laut Siebel deshalb sehr
ernsthaft geprüft werden.
Dass die derzeit praktizierte Form der Bürgerbeteiligung auf zu geringes
Interesse stoße und dringend ergänzt werden müsse, dies zeigen auch die
rückläufigen Zahlen bei den Vorschlägen zum Bürgerhaushalt. Besonders
ärgerlich sei aber die Haltung des Magistrats bei der Bürgerbeteiligung
Frankfurter Straße/Merck. Hier seien 4.000 Unterschriften aus dem
betroffenen Stadtteil einfach ignoriert worden.
Abschließend äußerte sich Siebel zu der neuen Kooperation der Koalition
mit Uffbasse. „Viele der vereinbarten Schwerpunkte lassen hoffen,
insbesondere die Einführung eines Sozialtickets, wenn das Wiener Modell
(Jahreskarte für 365 €) nicht umsetzbar ist. Wir begrüßen auch den
Impuls, mehr Wohnungen für mittlere Einkommen zu bauen. Aber es wird zum
Schwur kommen, wenn konkrete Haushaltsanträge gestellt werden, um die
Maßnahmen umzusetzen“, sagte Siebel abschließend.