07.07.2016 \|
Grüne und CDU haben den städtischen Konsens verlassen und sich von der
ICE-Vollanbindung verabschiedet. Wie die jüngsten Planungsentscheidungen
der Stadt zeigen, bereitet sie einen verkehrspolitischen
Paradigmenwechsel vor. „Das ist ein schlechtes Zeichen für den
Wirtschaftsstandort Darmstadt und ein Rückfall ins Provinzielle“,
bedauert Tim Huß, verkehrspolitischer Sprecher der SPD.
Den ersten Hinweis lieferte das Verhalten der scheidenden Baudezernentin
Cornelia Zuschke, welche sich bereits am 04.03.2016, zwei Tage vor der
Kommunalwahl, im Haupt- und Planungsausschuss der Regionalversammlung
für die Prüfung von Alternativen zur Vollanbindung aussprach. Bei der
Verabschiedung des Flächennutzungsplanes am 14. Juni 2016 wurde
schließlich ein Korridor freigehalten, der parallel zur Eschollbrücker
Straße verläuft und in einer engen Kurve nach Norden abbiegt. Aufgrund
der daraus resultierenden Geschwindigkeitsbegrenzung auf circa 120 km/h
lässt sich in diesem Korridor keine Vollanbindung realisieren. Bereits
in der Sitzung des Bauausschusses am 19.05.2016 hat Frau Zuschke auf
Nachfrage erklärt, dass die Position der Stadt Darmstadt nicht eindeutig
sei. Man wolle sich erst positionieren, wenn Rückmeldungen von anderen
Gremien vorliegen würden. Ähnlich hat sich der Magistrat letztlich in
der Stadtverordnetenversammlung verhalten: Auch auf explizite Bitte
seitens der SPD unterließen die redenden Magistratsmitglieder ein
Bekenntnis zur Vollanbindung.
„Ein klares Bekenntnis zur Vollanbindung, wie es im Wahlprogramm von
Grünen und CDU formuliert war, sieht anders aus“, sagt der
SPD-Stadtverordnete Oliver Lott. „Wir wünschen uns vom Magistrat eine
ehrliche Kommunikation. Wenn vom Wahlversprechen der ICE-Vollanbindung
jetzt schon abgerückt wird, muss dies dem Parlament und der
Öffentlichkeit transparent mitgeteilt und ein neuer Beteiligungsprozess
angestoßen werden.“
Die Abkehr vom städtischen Konsens wird nun durch den Bebauungsplan zu
den ehemaligen Kelley Barracks bestätigt, der am Donnerstag in der
Stadtverordnetenversammlung behandelt wird. „Nun soll ein Bebauungsplan
beschlossen werden, der ausschließlich auf die Interessen von Alnatura
zugeschnitten ist und die Voraussetzungen für eine ICE-Vollanbindung
zunichtemacht“, beklagt Lott. Somit kann Darmstadt nur noch mittels
einer Bypass-Trasse angebunden werden. Deren Realisierungschancen werden
durch große Finanzierungsschwierigkeiten minimiert. Darmstadt ist im
Gesamtplanentwurf des Bundesverkehrswegeplans 2030 zwar erwähnt, jedoch
nur mit einem Abzweig der Neubaustrecke, nicht mit einem Bypass. Eine
Finanzierung der Bypasslösung durch den Bund erscheint in diesem
Zusammenhang sehr unwahrscheinlich. In Anbetracht des wachsenden
Schuldenbergs in Darmstadt kann die Aufgabe der Vollanbindung zu einer
vollständigen Abkapselung des Hauptbahnhofes von der Neubaustrecke
führen.
„Noch ist der Bundesverkehrswegeplan 2030 nicht beschlossen. Um bis
zuletzt alle Handlungsmöglichkeiten zu haben, sollte die Stadt nicht
einzelne Optionen wie die Vollanbindung durch sektorale Entscheidungen
ausschließen. Schließlich geht es nicht nur um Darmstadt, sondern um die
gesamte Region“, gibt Brigitte Zypries, Staatssekretärin und Vorsitzende
der Darmstädter SPD, zu bedenken.
Die Darmstädter SPD-Fraktion fordert daher von den städtischen Akteuren
ein klares Bekenntnis zur Vollanbindung. „Auch wenn wir uns über jedes
neue Unternehmen freuen, das Arbeitsplätze schafft, so dürfen die
Interessen eines einzelnen nicht gegen die Interessen des
Wirtschaftsstandortes durchgedrückt werden. Darmstadts Wirtschaft
braucht die ICE-Anbindung – das muss Alnatura akzeptieren. Von dieser
Erkenntnis darf auch die grün-schwarze Koalition nicht abrücken“,
erklärt Tim Huß abschließend.