19.11.2018 \|
„Das Projekt ‚Fahrradparktürme Pali‘ krankt an fehlender
Bürgerbeteiligung, die Planung an zahlreichen, nicht nachvollziehbaren
Unterstellungen und handwerklichen Mängeln“, kritisiert
SPD-Fraktionssprecher Michael Siebel. Bestätigt sieht er sich darin
durch Aussagen der verantwortlichen Dezernentin. Denn nun liegt ihre
Antwort auf seine Große Anfrage zu den Türmen vor. Und selbst dieses
Schreiben besteche durch diverse Widersprüche.
„Warum wurden Bürger und Anwohner bei der Planung nicht eingebunden?“,
wollte Siebel unter anderem wissen. Die Antwort der Dezernentin: „Die
Einbringung der Magistratsvorlage in den Geschäftsvorgang war dem engen
Zeitkorsett geschuldet, das vom Fördergeber des Programms ‚Lincoln by
bike‘ vorgegeben wurde.“ Hierzu Siebel: „Dann war also der
Fördergeldgeber daran Schuld, dass es keine Bürgerbeteiligung gab? Das
ist doch neppich.“ Eine billige Ausrede ist es für den
SPD-Fraktionssprecher aus zwei Gründen: Erstens ist die Idee,
Fahrradparkhäuser zu errichten, nicht erst jetzt, in einem plötzlichen
Geistesblitz, geboren worden, sondern kursiert schon seit Jahren in
Darmstadt, wie Siebel ausführt. „Es wäre also genügend Zeit gewesen,
alles so zu organisieren, dass Bürgerbeteiligung möglich ist“, meint er.
Zweitens zeigt das Projekt „Fahrradtürme Pali“ für ihn erneut, was
Bürgerbeteiligung nach grün-schwarzem Modell in der Praxis bedeutet:
„Die Bürgerbeteiligung kommt stets zu spät, nämlich dann, wenn der Zug
bereits abgefahren ist. Was als Beteiligung verkauft wird, ist in
Wahrheit nur eine Information, die hinterher nachgeschoben wird.
Beteiligung heißt nach grün-schwarzer Praxis, die Bürger vor vollendete
Tatsachen zu stellen.“
Als Beleg hierfür führt er die Ansiedlung eines Aldi-Marktes im
Arheilger Ortskern an, den Willy-Brandt-Platz und Merck. Obendrein
erinnert Siebel daran, dass die verantwortliche Dezernentin aufgrund der
Bürgerproteste die Vorlage zurückgezogen habe und fragt: „Was passiert
deswegen jetzt mit dem vorgegebenen Zeitkorsett, das eine
Bürgerbeteiligung angeblich verhindert hat? Verlieren wir nun die
Förderung in Höhe von 170.000 Euro wegen der Überarbeitung der Vorlage?
Eine Vorlage, die nicht hätte überarbeitet werden müssen, wenn es von
Anfang an Bürgerbeteiligung gegeben hätte.“ So führte die Dezernentin
seinerzeit selbst an, sie ziehe die Vorlage zurück, weil Gespräche mit
Anliegern und Geschäftsleuten geführt werden und Folgekosten geklärt
werden müssten.
Auch Siebel sieht bei den Folgekosten dringenden Klärungsbedarf – zumal
die Antworten auf seine Fragen zu diesem Themenkomplex widersprüchlich
seien und offenbarten, dass in der Kalkulation mit Unterstellungen
gearbeitet wurde. Dies beginne bereits beim Bedarf an einem Radparkhaus.
„Wegen der zahlreichen, ‚wild‘ abgestellten Räder wird der Bedarf als
gegeben angenommen“, sagt Siebel. Für ihn ist das nichts weiter als eine
Unterstellung, obendrein eine solche, die selbst wiederum mit einer
Unterstellung arbeite, nämlich der, dass alle, die jetzt ihr Rad nach
eigenem Gutdünken parken, fürderhin brav ins gebührenpflichtige Parkhaus
fahren.
Bei der Akzeptanz für Fahrrad-Parkgebühren folgt die nächste
Unterstellung, nun gekoppelt mit einem Widerspruch, wie Siebel ausführt.
„Hier wird einfach davon ausgegangenen, dass die Akzeptanz da ist, weil
das Rad im Parkhaus sicher abgestellt werden könne.“ Als Beleg führt die
Dezernentin in ihrem Schreiben das Radparkhaus am Hauptbahnhof an, das
trotz Gebühr „außerordentlich nachgefragt“ sei. Im darauf folgenden Satz
räumt sie jedoch ein, dass dort „zahlreiche Diebstähle und
Beschädigungen“ gemeldet worden seien. „Was ist denn das für eine
Argumentation?“, fragt Siebel. „Die Akzeptanz ist angeblich da wegen der
Sicherheit, was das vorhandene Parkhaus zeige. Aber dort zeigt sich,
dass es gerade nicht sicher ist.“
Somit sind die Aussagen zum Bedarf an einem Radparkhaus und zur
Akzeptanz der Gebühren für Siebel nicht überzeugend. Beide Punkte haben
jedoch Auswirkungen auf die Folgekosten, beziehungsweise den Betrag, auf
dem die Stadt sitzen bleibt. Bei dieser Rechnung wird es Siebel zufolge
dann „gänzlich wild“. So arbeite die Dezernentin bei der
Wirtschaftlichkeitsprüfung mit einer Auslastung von 80 Prozent an 300
Tagen im Jahr. „Wie kommt es zu diesen Zahlen?“, fragt Siebel. „Das sind
doch auch alles nur Unterstellungen. Womit werden die untermauert?
Werden sie überhaupt mit irgendetwas untermauert?“ Das Schreiben der
Dezernentin gibt hierzu keine Auskunft. Mit ihren Unterstellungen kommt
sie jedoch auf jährlich Einnahmen in Höhe von 9.810 Euro. Dem gegenüber
stehen Ausgaben, die sie mit jährlich 3.400 Euro beziffert. Siebel
errechnet daraus einen jährlichen Überschuss von 6.410 Euro. Gefragt
nach den Einnahmen durch das Radparkhaus führt die Dezernentin jedoch
aus: „Es kann – ähnlich wie beim Fahrradparkhaus am Bahnhof – nicht
davon ausgegangen werden, dass die Nutzungsentgelte die Betriebskosten
vollständig abdecken werden.“ „Was denn nun?“, will Siebel wissen.
„Übersteigen die Einnahmen die Ausgaben, wie es die
Wirtschaftlichkeitsprüfung mit all ihren Unterstellungen darlegt, oder
tun sie es nicht, wie das vorhandene Radparkhaus, auf das rekurriert
wird, zeigt?“
Der Widerspruch zwischen Wirtschaftlichkeitsprüfung und gemutmaßter
Einnahmesituation könnte auch darin begründet sein, dass die
Wirtschaftlichkeitsprüfung nicht alle Kostenpunkte berücksichtigte. So
legt die Dezernentin selbst dar, dass die Unterhaltkosten und die
Instandhaltungsrücklage für die Fassade noch gar nicht beziffert werden
können. Siebel: „Aber wie kann man denn eine Wirtschaftlichkeitsprüfung
aufstellen, wenn noch gar nicht alle Kostenfaktoren ermittelt sind?“
Die handwerklichen Mängel bei der Planung der Parktürme, die fehlende
Bürgerbeteiligung, die Unterstellungen, mit denen gearbeitet wurde und
für die keine belastbaren Grundlagen ersichtlich sind sowie die
Widersprüche in dem Schreiben der Dezernentin – für Siebel ist das nicht
akzeptabel. Zu all dem kommt noch die technische Seite der Türme hinzu.
So fragte der SPD-Fraktionssprecher in seiner Großen Anfrage auch
danach, wie im Falle von technischen Störungen gewährleistet wird, dass
die Nutzer ihre Räder wieder herausholen können. In der Antwort hieß es,
nach Auskunft des Herstellers könnten Fehler „in der Regel durch ein
‚Reset‘ der Anlagensteuerung online behoben werden. Sollte dies nicht
möglich sein, reist ein Mitarbeiter des in Frankfurt am Main ansässigen
Serviceunternehmens umgehend an.“ Die hierfür nötige Rufbereitschaft
endet jedoch um 20 Uhr. Siebel: „Wenn es uns Ernst ist mit der
verkehrswende in Darmstadt, dann müssen wir auch den Radverkehr stärken.
Ein Fahrradparkhaus ist hierfür ein Baustein. Das ist unbestritten. Aber
so, wie das hier läuft, ist das den Bürgerinnen und Bürgern nicht
zumutbar.“