Stavo – Reden

Christina Fischer

Rede zum Antrag Gedenkweg jüdisches Leben

Michael Siebel StaVo 28.6.2022

Die Idee für einen „Gedenkweg jüdisches Leben“ war für uns schon Ende des letzten Jahres im Rahmen der Haushaltsberatungen entstanden.

Für mich war von Anfang an klar, dass ein solcher Antrag ungeeignet ist, um darüber kontrovers zu debattieren. Deshalb bedanke ich mich bei allen Fraktionen für die konstruktive Zusammenarbeit.

Jüdisches Leben – da denken wir zu allererst an Synagogen, den jüdischen Friedhof und an Gedenkstätten. Aber jüdisches Leben ist auch Alltagsleben in seiner wunderbaren Ausprägung. Es ist nicht nur die Auseinandersetzung mit dem was in Gebäuden und Objekten mannifest wird. Es sind auch die Rituale und Feste, die Klezmer Musik und der besondere jüdische Humor.

Ein Frankfurter Jude wird in der Broschüre jüdisches Leben so zitiert:

„Besonders ist, dass bei uns zu fast jedem Anlass gegessen wird. An manchen Feiertagen essen wir Fisch oder etwas Süßes, an anderen etwas Milchiges. Neben dem Essen spielen bei uns Fragen eine große Rolle. Es heißt oft zwei Juden und drei Erklärungen (lacht). Fragen sind im Judentum sehr wichtig, auch wichtiger als die Antworten.

Der ‚Gedenkweg jüdisches Leben in Darmstadt‘ ist als größeres Projekt für ganz Darmstadt gedacht.

Er soll einerseits zu vielen für das frühere jüdische Leben in Darmstadt bedeutsamen Punkten führen und andererseits die Geschichte der Vertreibung und Ermordung der jüdischen Bevölkerung sichtbar machen. Auf diese Weise soll symbolisch den von hier vertriebenen und ermordeten jüdischen Einwohner*innen wieder einen Platz in ihre Heimat gegeben werden und den Angehörigen die Chance, ihre Eltern, Großeltern und Geschwister zu verewigen. Durch diese Beispiele soll die Erinnerung an das jüdische Leben und an die von den Nazis zerstörte Kultur wach gehalten werden.

Vom Verfahren haben wir uns darauf verständigt, die Konzeptionierung des Projekts in die Hände des Kulturdezernenten und Oberbürgermeisters zu legen.

Er soll Menschen zusammenholen, die an der Idee arbeiten können und wollen. Das ist auf alle Fälle der Vorsitzende der jüdischen Gemeinde, der die Initiative unterstützt, die Geschichtswerkstadt, Lehrer und Schüler die beispielsweise das Digitalprojekt an der Lichtenbergschule begleitet haben, der Leiter des Stadtarchivs, der Verein gegen Vergessen – für Demokratie und natürlich die Stolpersteininitiative u.v.a.m.

Natürlich soll die Stadtverordnetenversammlung regelmäßig informiert und eingebunden sein.

Im Vorfeld war die Frage aufgetaucht, warum die AfD nicht mit auf dem Antrag steht und auch nicht angesprochen wurde. Darauf gibt es eine klare und unmissverständliche Antwort: Wer ein dermaßen verschrobenes Bild von Juden und jüdischem Leben in nicht endenden Äußerungen aus der AfD hat, der hat auf einem solchen Antrag nichts zu suchen.

Aber lassen sie mich versöhnlich enden mit einem Auszug eines Interviews, das Thea Nivea mit Daniel Neumann geführt hat. In dem Interview antwortet er auf die Frage, was er sich wünsche, wenn er drei Wünsche frei habe. Neumann:

„Bezahlbarer Wohnraum, das ist mein erster, ganz altruistischer Wunsch, weil ich sehe, dass Menschen, die von außerhalb kommen, eigentlich keine Chance haben, eine bezahlbare Wohnung zu bekommen.

Der zweite Wunsch: dass wir trotz der fortschreitenden Automatisierung, der neuen sog. technischen Revolution, alle Mensch bleiben, dass wir unsere Menschenwürde behalten.

Der dritte Wunsch ist schräg: dass wir alle Anhänger eines ethischen Monotheismus werden. Es ist meine religiös angehauchte Vision, dass alle Menschen glauben, dass es einen Gott gibt, der von uns verlangt, dass wir Gutes tun, uns gut miteinander verhalten und wir es nicht deshalb tun, weil man uns zwingt, sondern weil wir es aus uns heraus so wollen.“

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Rede zur Live – Übertragung StaVo

Michael Siebel 28.6.2022

Der deutsche Nationalökonom Wilhelm Roscher sagte schon im 18. Jahrhundert:

Wie der Demokratie die Öffentlichkeit natürlich ist, so der Aristokratie die Heimlichkeit. Dort verlangt man besondere Gründe, um eine Staatssache verschwiegen zu halten, hier, um sie zu publizieren. Es sind das einfache Folgen der verschiedenen Staatsprinzipien, dort der Gleichheit, hier der Ausschließung“.

Wenn wir heute, nach zwei Jahren Ringen in einer eigens gebildeten Arbeitsgruppe unserer Stadtverordnetenversammlung – endlich – beschließen, die Verhandlungen in unserem höchsten beschlussfassenden Gremium via live Stream zu übertragen und die Aufzeichnungen 12 Monate abrufbar zu halten, dann ist das ein Beitrag der Schaffung von Demokratie für und in der Öffentlichkeit.

Mit diesem Beschluss und den notwendigen Änderungen der Hauptsatzung und der Geschäftsordnung für das online Streaming schwimmen wir nicht auf der Welle des Zeitgeistes. Streaming war einfach vor zwanzig Jahren technisch noch nicht möglich – nötig wäre es auch damals schon allemal gewesen.

Die weit verbreitete Auffassung, Demokratie bedeute Herrschaft der öffentlichen Meinung ist eine unangemessene Vereinfachung und verstellt auch den Blick für das, was Demokratie wirklich ist.

Wenn Demokratie auf der Annahme beruht, die Förderung des Gemeinwohls sei am besten zu erreichen, wenn alle Bürgerinnen und Bürger eine gleiche und optimale Mitwirkung bei der Bildung des Gemeinwillens ermöglicht werden muss, dann ist doch die erste und wichtige Voraussetzung über die politischen Willensbildungsprozesse erstmal größtmögliche Öffentlichkeit herzustellen.

Ab der nächsten Stadtverordnetenversammlung kann jede Bürgerin und jeder Bürger, auch die, die wenig Zeit haben oder mobilitätsbeeinträchtigt sind, Bürger*innen die sich nur für ein Thema Interessieren oder solche die auch selbst in Vereinen und Institutionen ehrenamtlich tätig sind mithören.

Und wenn ich dies sage, meine ich nicht nur mithören und -sehen, sondern sie, die Bürger*innen werden ertüchtigt, auch mitzuwirken. Auch deshalb hätte ich mir gewünscht, wenn wir die Debatten länger als 12 Monate abrufbar gewesen wären.  Manche Prozesse dauern länger als 12 Monate, beispielsweise Bebauungsplanverfahren vom Aufstellungsbeschluss bis zum Satzungsbeschluss.

Aber mehrheitlich sind wir dieser Empfehlung des Hessischen Datenschutzbeauftragten gefolgt. Ich persönlich hätte es auch auf eine mögliche Gerichtliche Auseinandersetzung ankommen lassen und wenigstens eine halbe Wahlperiode abrufbar gelassen.

Meine sehr verehren Damen und Herren,

ich möchte mich bei allen Kolleg*innen bedanken, die an dieser Vorlage gearbeitet haben. Insbesondere bei dem Hans-Jörg Daum und dem Team des Stadtverordnetenbüros und auch dem Rechtsamt, mit dem ich nicht immer einer Meinung war. Sie haben uns gut unterstützt und beraten.

Die demokratische Öffentlichkeit ist das Gegenteil zur inszenierten und zensierten Öffentlichkeit, die wir leider in so schrecklicher Form in Russland aber auch anderswo erleben müssen.

Wir stehen mit diesem Beschluss aber auch mit vielen anderen Bemühungen für das Prinzip der demokratischen Öffentlichkeit.

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Rede zum Mietspiegel

Michael Siebel 28.6.2022

Wir haben in Darmstadt, im Einvernehmen mit allen Fraktionen den qualifizierten Mietspiegel eingeführt. Wir haben das getan, um neue ökologische und soziale Aspekte einzuführen.

Und ich danke dem IWU, dass es das mit großer Kompetenz und vor dem Hintergrund der rechtlichen Rahmenbedingungen für Darmstadt seit vielen Jahren gemacht hat.

Aber!

Meine sehr verehrten Damen und Herren, Dieser Mietspiegel spiegelt uns wieder, dass die Wohnungspolitik für die sozial Schwachen und für mittleren Einkommen in Darmstadt gescheitert ist.

Ich zitiere aus der Vorlage:

„Die Mieten in der Wissenschaftsstadt Darmstadt steigen demnach … im qualifizierten Mietspiegel 2022, im Vergleich zum qualifizierten Mietspiegel 2018 um 4,35% jährlich, somit gesamt um 17,4% von 8,89 Euro/qm auf 10,44 Euro/qm.“

Wir liegen damit, was die Steigerungsrate angeht sogar deutlich über Frankfurt!

Ich finde, das sollte uns zu denken geben. Der Frankfurter Mietmarkt ist im Bereich der nicht geförderten Wohnungen wesentlich kanialbisierter als der unsrige.

Investoren aus Ostasien kaufen in Frankfurt Wohnungen als Investitionsobjekte. Haben diese Investoren Darmstadt erreicht? Ich glaube nicht und es gibt auch bislang keine Hinweise unseres Magistrats darauf.

Und deshalb, meine sehr verehrten Damen und Herren, habe ich in der Presseerklärung zum Mietspiegel formuliert „Die Wohnungspolitik in Darmstadt ist gescheitert“!

Der Oberbürgermeister ist angetreten mit der vollmundigen Versprechung 10000 Wohnungen zu bauen. Das ist nicht passiert und das wissen auch alle, die sich ehrlich machen. Sie haben sich dann korrigiert und gesagt, dass 10000 Wohnungen zur „Baureife“ zu bringen.

Auch das stimmt nicht!

Die die Cambray Frisch Kasserne ist weit von der „Baureife“ entfernt. Wohnungspolitik ist kompliziert. Das weiß ich und deshalb ist der Mietspiegel ist nur ein Element. Ich habe den Mietsiegel immer verstanden als Element der Mietregulierung, 17,3% Steigerung, ist das nicht!

Sie werden mir entgegenhalten, dass nur Mietwohnungen aus dem frei finanzierten Wohnungsmarkt berücksichtigt sind. Aber sie wissen auch, dass der frei finanzierte Wohnungsbau mit dem geförderten Wohnungsbau zusammenhängt. Die frei finanzierten Wohnungen treiben die Preise im geförderten Wohnungsbau.

Sie werden mir entgegenhalten, dass der Untersuchungszeitraum länger sein sollte. Richtig! Aber es ist keine Entschuldigung für diese schlimme Entwicklung in Darmstadt.

Ich will am Ende meinen Blick in die Zukunft richten:

Die Bemühungen mietpreisdämpfende Maßnahmen voranzutreiben müssen intensiviert werden. Dazu gehört das Mittel der Millieuschutzsatzung. Ein Antrag von UFFBASSE fordert dies für für das Martins- und Johannesviertel. Warum passiert diesbezüglich nichts seitens des Magistrats?

Wir müssen ganz anders mit unserer Bodenbevorratung arbeiten. Uns wurde im Bauausschuss das aktuelle Verfahren zur Vergabe von Erbpachtgrundstücken zu Kenntnis gegeben. Auch das ist nicht mehr zeitgemäß und muss überarbeitet werden.

Wir fordern seit Jahren, die zahl der vom Bauverein zu bauenden Sozialwohnungen zu verdoppeln. Auch dagegen wehrt sich die Stadtregierung mit Händen und Füßen.

Wohnungspolitik in der Kommune ist das Thema der Zukunft. Nehmen sie die Erkenntnisse des Mietspiegels nicht nur zur Kenntnis, sondern setzen sie sie und Handeln um.